Heiligabend ist vergangen, das leckere Raclette verspeist, ich denke an die letzten Tage und Wochen und komme einen Moment dazu mich zu besinnen. Dabei erinnere ich mich an ein Gespräch mit einer lieben nichtbinären Person vor einigen Monaten. Xie war damals dabei, sich selbst in ein polyamores Leben einzufinden – und über einen Punkt ziemlich verunsichert. Die geradezu verzweifelt gestellte Frage hallt in ihrem Wortlaut noch immer in mir nach:
Aber Maya… was ist mit Weihnachten?!
Läuft denn ein polyamores, patchworkiges Weihnachten wirklich so anders ab als das einer monogamen Familie? Ich denke, das ist eine Frage der Perspektive. Für manche mag der Gedanke seltsam sein, an Weihnachten bei den eigenen Eltern mit mehreren Partnerpersonen anzutanzen. Oder sie möchten Weihnachten unbedingt mit allen ihnen ganz nahe stehenden Menschen verbringen – da kann es komisch sein, wenn das logistisch nicht funktioniert, sämtliche Herzmenschen an einem Ort zu versammeln.
Ich nehme diese Gedanken jedenfalls zum Anlass, um euch mehr von unserem Polykül zu erzählen und wie unser diesjähriges Weihnachten abläuft. Ob das aus eurer Sicht ungewöhnlich ist oder sehr nah an dem dran, wie ihr selbst die Feiertage verbringt, könnt ihr mir selbst sagen.
Polywas?
Polykül ist ein Kofferwort aus Polyamor und Molekül und bezeichnet auf recht niedliche Weise ein polyamores Beziehungsnetzwerk. Zu meinem Polykül gehören also nicht nur die Menschen mit denen ich selbst zusammen bin, sondern auch deren andere Partnerpersonen neben mir (diese sind meine Metamours). Und wiederum die Partnerpersonen von diesen. Und so weiter.
Natürlich wird das irgendwann eine unübersichtliche Anzahl von Menschen. Es ist zwar durchaus witzig, bei Treffen mit anderen polyamoren Menschen ab und an festzustellen, dass wir über 10 Zwischenverbindungen formell im gleichen Polykül hängen; es macht den Begriff allerdings auch unscharf, da ich auf diese Weise vielleicht mit den meisten polyamoren Menschen in Deutschland irgendeine Verbindung habe.
Im engeren Rahmen sehe ich als mein Polykül diejenigen Menschen an, mit denen ich ein gemeinsames Beziehungsleben organisiere. Dazu gehört beispielsweise die Abstimmung von Terminen. Ganz unromantisch formuliert besteht mein näheres Polykül einfach aus den Menschen, mit denen ich Online-Kalender teile und gemeinsame Doodle-Umfragen ausfülle.

Plätzchenbacken mit Partnerpersonen
Ein solches Doodle führte Mitte November zu unserem Start in die Weihnachtszeit – mit einem Termin fürs gemeinsame Plätzchenbacken. Neben Anna, Johanna, mir und den Kindern waren auch noch Jonathan (Partner von Anna), Andreas (Partner von Johanna) sowie mein Kitten mit dabei; zudem einige gemeinsame Freund*innen, mit denen wir nicht verbandelt sind. Darunter sogar Monos! 😉
Kitten ist neutrois, hat das Pronomen „es“ und ist mit mir seit bald vier Jahren zusammen. Es kennt das Löwenkind von Anfang an und hat sich mit der Zeit zu dessen Onte entwickelt (Onte eine geschlechtsneutrale Variante von Onkel bzw. Tante). Es ist einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben und gehört mit zu dieser Familie, auch ohne elterliche Verantwortung zu tragen.
Ihr seht an dieser gemeinsamen Verabredung, dass die Metamours bei uns keine Berührungsängste zueinander haben, sondern sich kennen und ab und an gemeinsame soziale Ereignisse wie dieses teilen. Polyamore Menschen bezeichnen das auch als Küchentisch-Polyamorie. Wie ich in meinem ersten Blogbeitrag bereits erklärt habe, fühlt sich das oftmals wie ein Treffen im erweiterten Freundeskreis an. Meine Perspektive auf meine Metamours ist: das sind Menschen, die meinen eigenen Partnerpersonen auf ihre ganz eigene Weise gut tun und ihr Leben bereichern.

Das Plätzchenbacken selbst war nicht sonderlich außergewöhnlich. Das Löwenkind freute sich, etwas Keksteig stibitzen zu dürfen, während die Kletterfee beim anschließenden bunten Bemalen der Kekse mit Zuckerguss voll aufging und viele kleine Kunstwerke entstanden – die manchmal nur wenige Sekunden überlebten, bevor sie vernascht wurden. Es wurden viele Plätzchen mit Pride-Flaggen oder anderen queeren Symboliken verziert. Neben den Weihnachtsfledermäusen gab es auch noch einige andere hübsche queere Tiere.

Überall Geschenke
Wer polyamor lebt und parallel mehrere Beziehungen führt, fühlt sich womöglich gerade in der Weihnachtszeit unter einem gewissen Druck. Ich möchte ja nicht nur eine Partnerperson beschenken, sondern gleich mehrere – und es soll auch noch möglichst keine von ihnen ein weniger tolles Geschenk bekommen als die anderen.
Um den Weihnachtsstress zu reduzieren, probierten wir innerhalb unserer Familie in diesem Jahr eine neue Methode aus: wir schenkten uns gegenseitig, uns nicht um Geschenke für die anderen kümmern zu müssen. Weil es aber schön ist Geschenke zu bekommen und auszupacken, könnten wir uns welche für uns selbst besorgen – und diese dann nochmals als Geschenke für jemand anderes einpacken. Damit diese Person als Geschenk haben würde, uns dieses Geschenk dann schenken zu dürfen. Alles klar?

Diese Methode hat uns tatsächlich gut vom Verpflichtungsgefühl befreit, für alle anderen etwas besorgen zu müssen. Wir hatten großen Spaß bei der Bescherung und konnten viel darüber lachen: „Oh Maya, wie hast du denn gewusst, dass ich mir genau das schon lange sehnlichst gewünscht habe?“ Es gab zusätzlich einige Geschenke, die direkt für andere gedacht waren. Das können wir nächstes Jahr gerne wiederholen.

Die Kinder mussten natürlich nicht für sich selbst Geschenke besorgen. Sie sind durch unsere große Poly-Patchwork-Familie im doppelten Sinne reich beschenkt: das Löwenkind hat nicht nur uns drei Mütter, sondern auch zwei Opas und vier Omas. Die Kletterfee wird von all diesen zusätzlich zu ihren eigenen Eltern und Großeltern bedacht. Die Geschwister erleben die Fülle.
Als die technikbegeisterte Mama hat es mich besonders gefreut, dass das Löwenkind mit meinem Geschenk – einer Toniebox – bereits viel anfangen konnte und die Bedienung schnell lernte. Die Altersempfehlung von drei Jahren erfüllt es nämlich erst knapp zur Hälfte… 😅

Reiseplanung
Als Eltern ist uns wichtig, Weihnachten mit den Kindern zu verbringen. In einer Patchwork-Familie ist es aber nicht immer möglich, dass die Kinder dabei die ganze Zeit über gemeinsam am gleichen Ort sind.
Wir drei Mamis fuhren wie schon im letzten Jahr an Heiligabend zu meinen Eltern. 2017 waren beide Kinder mit dabei – diesmal war die Kletterfee stattdessen bei ihrem Papa und seinen Eltern. Ich sehe das mit einem lachenden und einem weinenden Auge: Kletterfee fehlt mir! Aber ich finde es auch schön, dass das Löwenkind dieses Weihnachten so viel ungeteilte Aufmerksamkeit bekommen konnte. Viele jüngere Geschwister haben diesen Luxus nicht.
Ab morgen sind die Kinder dann endlich wieder vereint – die gesamte Familie fährt zum ersten Mal gemeinsam zum Chaos Communication Congress nach Leipzig. Auch Jonathan und der Papa von Kletterfee sind dabei. Wir sind schon sehr gespannt, wie diese Veranstaltung für uns und die Kinder wird!
Silvester und die darauf folgende Woche werden wir dann in Berlin verbringen. Das hat auch eine symbolische Bedeutung für uns, da wir im Sommer gemeinsam in diese Stadt ziehen werden. Außerdem freuen wir uns riesig auf das Wiedersehen mit Zesyra, Sartograph und ihren drei Kindern, bei denen wir in dieser Zeit unterkommen. Bei unserem ersten Besuch Anfang November haben sich unsere Familien gegenseitig ins Herz geschlossen und ich bin mir sicher, dass das auch jetzt wieder richtig schön wird.
Partnerschaftszeit
Für uns existiert aber auch ein partnerschaftliches Leben abseits der Kinder. Daher versuchen wir, einander immer wieder eigene Treffen mit anderen Partnerpersonen zu ermöglichen – auch rund um den Jahreswechsel. Ich durfte beispielsweise eine gute Woche vor Weihnachten mehrere Tage mit Kitten zusammen verreisen und eine sehr spannende Veranstaltung gemeinsam besuchen. Anna fuhr letztes Wochenende für zwei Tage mit Jonathan zu dessen Eltern. Johanna plante auf Heiligabend noch eine Übernachtung bei Andreas sowie eine gemeinsame kleine Bescherung. Sie werden sich auch in der Silvesternacht in Berlin noch spät auf einer Feier treffen. Jonathan und Anna fahren Anfang Januar schon zwei Tage früher als Johanna und ich wieder nach Hause, um ein Wochenende mit viel Paarzeit und ohne Kinder zu verbringen. Es fühlt sich richtig gut an, uns gegenseitig in unserer Familie diese schönen Dinge ermöglichen zu können.
All diese Pläne erfordern, dass wir uns gut absprechen, wer sich wann um die Kinder kümmert. Darin haben wir bereits Routine. Wir können einander Freiheiten schaffen, welche die meisten Eltern kleiner Kinder nicht in dem Maße haben. Auf mehr Schultern lässt sich die Verantwortung für die Kinder eben besser verteilen. Auch wenn es manchmal anstrengend ist, sich so viel organisieren zu müssen, kommt uns das wie ein echter Vorteil unseres Familienmodells vor.
Familienbande
Für mich war es in diesem Jahr ganz besonders, Weihnachten mit meinen Großeltern mütterlicherseits feiern zu können, bei denen ich seit wenigen Monaten als Frau geoutet bin. Sie haben mich auch in ihrem hohen Alter als Maya akzeptiert und freuen sich neben ihrem Urenkelkind auch über mich als ihre „neue“ Enkelin. Als dann meine Eltern noch alte Geschichten von meiner Kindheit erzählten und mich dabei konsequent Maya nannten, ging mir einfach nur das Herz auf.
Dieses Weihnachten war für mich wirklich wundervoll. Ich hoffe ihr hattet ebenfalls eine schöne und möglichst unstressige Zeit – sowie ein frohes Weihnachtsfest, falls ihr es feiert. Ich wünsche euch in jedem Fall bereits einen guten Rutsch ins neue Jahr – wir lesen uns!